Landhaus Tons

Die Geschichte einer Sylter Rarität

Es sind die besonderen Sylter Geschichten, die sich in den kleinen Friesendörfern hinter den Türen verstecken und erzählt werden wollen. Möglich nur durch Sylter Urgesteine, die auf der Insel geboren wurden, hier lebten und die Insel in all ihren Facetten lieben. Und immer sogar seit vielen Generationen. Ein Schmuckstück, das so viel zu erzählen hat und könnte, wenn die Wände sprechen würden, ist ein imposantes Anwesen am östlichen Ortseingang in Keitum. Versteckt hinter einem schönen historischen Apfel- und Birnengarten, befindet sich ein reetgedecktes weißes Haus. Am Giebel steht die Zahl 1859, das Erbauungsjahr. Was nur wenige wissen: Hier wurde 1865 der einzige Schüler, den Johannes Brahms je genommen hat, Cornelius Uwe Gustav Jenner, geboren. Sein Vater, Dr. med. Andreas Ludwig Otto Jenner, hat das Haus 1859 erbaut. Aus soliden roten Ziegelsteinen mit weißem Putz ist das Haus heute noch so erhalten, wie es damals entstand: dicke Mauern, viele Zimmer mit hohen Fenstern, große Räume. Natürlich unterzog sich das Geburtshaus des Komponisten Gustav Jenner einigen Renovierungen und wurde später zu einem Landhaus mit Ferienwohnungen ausgebaut. Doch die faszinierende Geschichte blieb stets erhalten: Der gebürtige Keitumer lebte sechs Jahre auf der Insel, bevor die Familie auf das Festland zog. Durch die Freundschaft mit dem niederdeutschen Dichter Klaus Groth nahm Komponist Johannes Brahms den jungen und musikbegeisterten Gustav Jenner als Schüler in Wien auf.

Margot Tons, geborene Petersen, ist die heutige Hausherrin. Die 78-Jährige öffnete exklusiv für SYLT life ihren Türen und nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergangenheit – sie erzählt ihre Familiengeschichte. Familie Tons, wundervoll, offen und mit der Liebe zu Sylt im Herzen, hat beide Häuser des Landhauses Tons bis in die dritte Generation bewahrt. »Meine Familie war ursprünglich in Tinnum ansässig und wurde von dem Ehepaar Schäpe, das eine Schlachterei in Keitum besaß, eingeladen, nach Keitum zu ziehen. Der Schlachtermeister war sehr angetan von meinem Vater, der sich dann entschied, sein Anwesen für meinen Bruder freizumachen. So war mein Bruder Peter Jan Petersen nicht nur stolzer Besitzer einer Landwirtschaft in Tinnum, sondern auch Sylter Deichgraf. Ich war zu dieser Zeit zwei Jahre in Schweden, und als ich nach Hause kam, wohnte ich plötzlich in Keitum«, erzählt das Sylter Urgestein. Und sie war begeistert von ihrem neuen Zuhause, denn schon früher, als sie mit dem Fahrrad zu ihren Großeltern nach Morsum fuhr, radelte sie daran vorbei. »Ich habe immer angehalten, bin vom Fahrrad abgestiegen und habe mir dieses Haus angesehen. Ich war so verliebt und fand das so schön, und dass ich dort einmal leben würde, habe ich nie im Leben geglaubt. Doch so kam es«, berichtet sie weiter. Es war vereinbart, dass ihre Eltern die beiden Herrschaften pflegen. Der Vater hatte sich eine kleine Landwirtschaft aufgebaut und ihre Mutter war für die Pflege zuständig. »Für meine Eltern war das  eine ganz schwierige Sache, denn die Dame, Frau Schäpe, war sehr penibel, wenn es um Sauberkeit und Ordnung ging«, erklärt Margot Tons. Beim Schwelgen in Erinnerungen kommt die Sylterin richtig ins Schwärmen über das Haus und ihre Anfangszeit in Kei-tum: »Oben im Giebel befand sich mein Zimmer, mein kleines Reich. Der Ausblick, die Lage und alles drumherum – ich war und bin einfach sehr glücklich.« Und damals gelangte man von der Küche in die Waschküche, wo sich ein Verschlag mit Hühnerstall befand. Viele Jahre später haben Margot Tons und ihr Ehemann Lothar diesen Stall in ein Badezimmer mit Dusche umgebaut. Großzügige Räume, die haben sie sehr fasziniert. Über Erbpacht ging das Anwesen in das Eigentum von Margot Tons’ Familie über. Wenige Jahre später ist das Ehepaar Schäpe nacheinander verstorben. Zu der Zeit lernte die damals 26-Jährige ihren Mann Lothar kennen, der fünf Jahre jünger als sie war. Der heutige Salon 1900 ist sein Geburtshaus. »Unsere drei Söhne sind in diesem wunderbaren alten Garten aufgewachsen. Die brauchten nicht in den Kindergarten, da mein Vater auf die drei Jungs aufpasste«, erzählt sie bei einer gemütlichen Tasse Kaffee in ihrem Wohnzimmer. Überall hängen und stehen Bilder von ihrer Familie. Ein wundervolles Ambiente, welches so viel Liebe und Geborgenheit ausstrahlt, mit der sie, seitdem sie 29 Jahre alt war, ihre Ferienvermietung führte. 1972 wurde das zweite Haus auf dem wundervollen Grundstück gebaut und die Vermietung hat begonnen: Landhaus Tons öffnete seine Türen. Die Familie lebte zehn Jahre bei ihren Eltern, damit das komplette neugebaute Haus an Sylt-Gäste vermietet werden konnte. Doch auch Schicksalsschläge blieben nicht aus, und so hat sie zusammen mit ihrem Mann vier Pflegefälle betreut. »Meine Schwester ist mit 45 Jahren an Leukämie verstorben, meine Schwiegermutter verstarb an Brustkrebs und auch meine Eltern verließen uns wenige Zeit später. Ich habe keinen aus der Hand gegeben. Mein Mann und ich, auch die Jungs, mussten mit anfassen«, beschreibt sie die damalige Situation traurig. Jedoch ließ sich die taffe Frau nicht unterkriegen, und so wurde das Haus ihrer Eltern umgebaut. Insgesamt hatte das Landhaus Tons acht Ferienwohnungen, drei in dem neugebauten Gebäude und fünf in dem Geburtshaus Gustav Jenners – insgesamt 21 Betten. »Zuerst hatten wir Hilfe von einer Mitarbeiterin, aber als mein Mann mit 63 Jahren in Pension gegangen ist, haben wir das alleine gemanagt. Und als ich dann nicht mehr konnte, haben wir die Ferienvermietung nach und nach aufgegeben.« Die Söhne Bernd (52), Björn (50) und Gunnar (46) leben und arbeiten in Hamburg und Pinneberg. »Ich bin froh, dass unsere Burschen das nicht machen. Mein Mann und ich sind in dieser Sache aufgewachsen. Mir hat es sehr viel Spaß gemacht, weil wir ein wunderbares Publikum hatten. Und die paar, die hier in die Wohnungen nicht reinpassten, sind auch nicht wieder gekommen.« Die fröhliche und rüstige Frau gerät schnell ins Schwärmen über ihre Arbeit und die Insel. Bis zu dem Tod ihres Mannes im letzten Jahr wohnten die beiden fünf Jahre in Pinneberg und pendelten oft nach Sylt. Danach entschied sie sich, das Haus in der Nähe von Hamburg zu verkaufen und nach Hause auf ihre Insel zurückzukehren. »Ich liebe Sylt einfach, und mir fiel es schwer, nicht immer hier zu sein, aber jetzt bin ich zurück und genieße jeden Tag«, schwärmt Margit Tons. Bis Oktober läuft die Vermietung in dem 1972 erbauten zweiten Haus. Danach werden die drei Wohnungen nur noch familiär genutzt. Denn sie sagt, es sei an der Zeit, sich von einem Objekt zu trennen, und so wird das Gebäude, wo einst Komponist Gustav Jenner wohnte, verkauft. Bis in die dritte Generation wurde das Anwesen von Familie Tons in Ehren gehalten. Margot Tons und ihre Kinder wünschen sich, dass das Zuhause der Sylter Urgesteinfamilie in gute Hände kommt. So viel Geschichte, Emotionen, Liebe und Leidenschaft findet man heute kaum noch – eben ein Schmuckstück Keitums.