Neustart statt Stillstand

Stichwahl am 28. März:
Interview mit Bürgermeisterkandidat
Clemens Raab

 

Im 1. Wahlgang haben Sie 32,5 Prozent der Stimmen erhalten. Wie sehen Sie das Ergebnis?

Ich bin glücklich, dass wir es in die Stichwahl geschafft haben. Klar hätten wir uns auch schon ein paar Prozente mehr gewünscht. Aber das Entscheidende ist eigentlich, dass eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler für den Wechsel gestimmt hat. Ansonsten hätte der Bürgermeister im 1. Wahlgang die Mehrheit bekommen. Ich bin jetzt der einzig verbliebende Kandidat für den Neustart. Wir sind zuversichtlich, dass wir mit dem Ergebnis gut in die Stichwahl gehen. Auch werde ich alles dafür tun, um die Bürgerinnen und Bürger davon zu überzeugen, zur Stichwahl zu gehen. Ich bin aktuell sehr stark im Häuserwahlkampf unterwegs – von Tür zu Tür. Es ist zwar in Coronazeiten nicht ganz einfach mit Maske und Abstand, aber es ist machbar.

Was verbirgt sich hinter Ihrem Slogan »Sylt kann besser«?

»Sylt kann besser« hat verschiedene Perspektiven. »Besser« eigentlich im ersten Schritt in der Zusammenarbeit zwischen der Verwaltungsspitze und den Mitarbeitern sowie Mitarbeiterinnen, die eine hervorragende Arbeit in der Gemeinde leisten. Eben mit mehr Wertschätzung, mehr Achtung und mehr Respekt gegenüber den Kollegen. Aber auch sie stärker zu motivieren, so dass sie wieder eigene Entscheidungen treffen können und mit Spaß und Freude dort arbeiten.

Die zweite Perspektive besteht darin, ein neues Vertrauen des Bürgermeisters zur Politik aufzubauen. Genau hier hakelt es ein bisschen. Vor allem im Bereich des Erstellens von Beschlussvorlagen, die nicht transparent sind und nicht rechtzeitig erstellt wurden, ist das Vertrauen verloren gegangen. Wenn ich als ehrenamtlicher Kommunalpolitiker eine Vorlage bekomme, ich mir aber nicht sicher bin und das Vertrauen vielleicht verloren gegangen ist, dann kann ich nicht guten Gewissens für das Thema abstimmen – da brauchen wir neues Vertrauen. Natürlich darf ein Bürgermister gute Ideen und Vorschläge einbringen, aber Hauptaufgabe ist Beschlüsse vorzubereiten und dann, wenn sie entschieden worden sind, gut umzusetzen und ein guter Dienstleister zu sein. Der Bürgermeister selber hat ja in dem Sinne keine politische Macht, er kann ja ganz wenig selbst entscheiden.

Und die dritte Perspektive ist die Zusammenarbeit mit den Amtsgemeinden. Bekanntermaßen ist diese in den letzten Jahren immer schlechter geworden, so dass die Amtsgemeinden heute teils nur noch widerwillig mit ihm zusammenarbeiten und das Tischtuch dort zerschnitten ist. Aus diesem Grund braucht es hier auf jeden Fall einen Neustart in der Zusammenarbeit.

Welche Pläne haben Sie für die Gemeinde Sylt? 

Letztendlich stehe ich dafür, dass wir auf einer ganz wunderbaren Insel, die vom Tourismus geprägt ist, leben und arbeiten. Das ist unsere Lebensader. Deshalb ist der Bereich Tourismus für mich schon ein sehr wichtiger Punkt. Aus meiner Sicht ist es von Bedeutung, und hierbei sind sich alle vier Kandidaten und jetzt die verbliebenen Zwei einig, es soll eben kein höher, schneller, weiter geben. Trotzdem brauchen wir unseren Tourismus, damit wir gut davon leben können. Das haben auch alle verstanden, Tourismus wollen auch alle – mehr oder weniger. Vielleicht gibt es das eine oder andere Bürgernetzwerk, welches es nicht so möchte.

Tourismus ist unsere Lebensader! Das Gleichgewicht zwischen Wirtschaftsraum Tourismus und Lebensraum Natur steht an oberster Stelle. Denn die Gäste kommen wegen der schönen Natur und der Landschaft. Also müssen wir diese stärker schützen und darauf achten, dass sie nicht zerstört wird und, dass keine weiteren neuen Großprojekte kommen, die die Dünenlandschaften kaputt machen. Das darf nicht passieren! Also ist das der nächste große Punkt, was Nachhaltigkeit angeht, Klimaschutz. Auch wenn der Bürgermeister keine Entscheidungsbefugnis hat, kann er sich beispielsweise für Beach Clean-Ups oder Strandmüllboxen mehr einsetzen. Auch kann er mit Einzelhändlern, Gastronomen oder Bäckereibetrieben, die Coffee-to-go anbieten, sprechen, damit sie Heißgetränke bestmöglich nur noch in einem Recup verkaufen.

Gerade im Bereich Klima- und Umweltschutz können wir als Insel eine Vorzeigeinsel sein, wenn wir es schaffen, in unserem kleinen Kreis mehr auf nachhaltige Ressourcen zu gehen, sprich die E-Mobilität weiter fördern. Gerade auf Sylt sind die Ladekapazitäten gut erreichbar. Mein Ziel ist es bzw. meine Vision ist es, bis 2050 die erste Region in Deutschland zu sein, die wirklich komplett emissionsfrei ist. Das Vorhaben muss mit vielen Mitteln umgesetzt werden, wie eben E-Mobilität, aber auch das Thema Wasserstofftechnologie. Ich glaube schon, dass Wasserstofftechnologie der absolut grüne Energietreiber ist und wir das, meiner Meinung nach, im Auge behalten sollten. Natürlich gepaart mit weniger Autos auf der Insel. Hier müssen wir Anreize schaffen, dass diese auf dem Festland bleiben. Wer sein Auto beispielsweise nachweisbar auf dem Festland stehen lässt, der könnte eine Woche mit seiner Familie kostenlos mit den ÖPNV fahren. Sowas stelle ich mir als Anreiz vor. Selbstverständlich werden wir das dieses und nächstes Jahr nicht erleben, weil die Gäste aufgrund der Pandemie teilweise Angst haben und lieber individuell anreisen.

Auch müssen die Angebote auf Sylt verbessert werden. Wir brauchen endlich neue Fahrradwege. Die Gäste kommen auf die Insel und fahren Fahrrad. Ich glaube wir können es besser machen, damit das Fahrrad noch häufiger genutzt wird. Dazu muss ich aber natürlich die Wege verbessern. Na klar, das ist politischer Konsens, aber es gibt seit Jahren Konzepte, die nicht umgesetzt werden.  Und das ist sicherlich etwas, was den Bürger aufregt und, was er nicht mehr versteht. Es ist die Aufgabe des Bürgermeisters, seine guten Leute so einzusetzen, dass dort endlich sauber geplant werden kann.

Das Entscheidende und Neue vor der Stichwahl ist der nichtvorhandene Haushalt in diesem Jahr, wir haben den Haushalt für 2021 nicht genehmigt bekommen. Man merkt in jeder einzelnen Sitzung, was das für verheerende Folgen hat. Wir dürfen keine Ausgabe machen, wir sind in großen Teilen handlungsunfähig. Wir dürfen all das, was wir uns vorgenommen haben, nicht umsetzen. Können es nicht umsetzten, weil wir kein Geld dafür ausgeben dürfen. Es kann nicht ein einziger Fahrradweg ansatzweise weiter geplant werden. Es wird keinen Multipark dieses Jahr geben, es wird kein einziger Bagger rollen, weil wir keinen Haushalt haben. Es sollten neue Kinderspielplätze entstehen, dafür hatten wir 250.000 Euro eingeplant. Nun wird kein einziger neuer Spielplatz gebaut. Diese Tatsache fällt uns gemeinsam auf die Füße, da der Bürgermeister den Haushalt über die letzten Jahre vernachlässigt hat. Aus meiner Sicht ist das genau ein Grund, als Bürgermeisterkandidat anzutreten. Man muss auch sagen, Haushalt ist ein schwieriges Thema, dass man schwer für den Wähler transportieren kann. Aber die Beispiele wie keine Kinderspielplätze, kein Multipark, keine Fahrradwege sind klare Punkte, die der Bürgermeister zu verantworten hat.

Ist es möglich, dass der Haushalt dieses Jahr noch verabschiedet wird?

Der Bürgermeister ist zuversichtlich, dass es gelingen wird. Bis zum 15. September muss dem Kreis ein neuer Bericht vorgelegt werden. Dieser Bericht sollte das beinhalten, was der Kreis fordert, sprich die sogenannte Anlagenbuchhaltung und -abschreibung. Es müssen also die vorhandenen Vermögensgegenstände bewertet werden. Bei Immobilien ist es relativ einfach, aber bei allen Straßen und Gehwegen nicht wirklich. Seit sechs Jahren ist ihm diese Aufgabe bekannt. Wenn er natürlich erst vor einem Jahr damit anfängt, dann ist klar, dass es nicht rechtzeitig fertig wird. Er hat es sozusagen einfach verschlafen, das Thema rechtzeitig anzugehen. Laut Bürgermeister ist es kein Problem, den Bericht bis 15. September vorzulegen, damit wir dann im Dezember vielleicht den Haushalt beschließen können. Nur was bringt es denn, wenn ich im Dezember den Haushalt beschließe? Im Winter kann kein Bagger mehr rollen. So wird es wahrscheinlich kommen, dann hat man einen de facto Haushalt, den man nicht mehr nutzen kann. Wenn er es überhaupt bis September schafft.

Thema Öffnungsstrategie: Was könnten Sie als eventuell zukünftiger Bürgermeister für die Sylter Unternehmen tun?

Gesundheit ist das Wichtigste. Ich glaube, wir brauchen jetzt echt ein Datum, einen Zeitpunkt, wann wir aufmachen. Ob das in der Woche vor Ostern oder fünf Tage nach Ostern passiert, ist schwer zu sagen. Ich wünsche es allen, dass es gerne vor Ostern ist, damit man auch wirklich die Umsätze mitnehmen kann, die man so sehr vermisst hat und die auch einige sehr dringend brauchen. Allerdings habe ich natürlich ein bisschen Sorge, dass wir bei Öffnung der Insel sowas von überrannt werden, dass es vielleicht auch nicht gutgeht. Vielleicht eher ein paar Tage nach Ostern, dann fehlt zwar das klassische Ostergeschäft, aber danach ist es eventuell ein bisschen leichter im Einstieg. Aber es muss wieder losgehen – wir haben gute Möglichkeiten und Testkapazitäten. Demnach dürfen die Gäste nur mit einem negativen Test auf die Insel. Entweder bringen sie ihn von zu Hause mit oder machen ihn hier vor Ort. Darüber hinaus nutzt Sylt die »luca-App« flächendeckend. Aber auch ganz wichtig finde ich, dass wir die eigenen Mitarbeiter ein- oder zweimal die Woche testen – selbst testen oder testen lassen. Wenn wir es von unseren Gästen erwarten, dann auch von unseren Mitarbeitern und von uns selbst, um einfach das höchstmögliche Maß an Sicherheit zu gewährleisten. So sehe ich die Öffnungsstrategie, jedoch muss man die Entwicklung der Zahlen immer im Auge behalten.

Nach der Öffnung müssen wir, finde ich, unsere Wirtschaft insgesamt unterstützen und entlasten. Wie gesagt, die Lebensader ist unser Tourismus. Wenn ich Bürgermeister sein sollte, dann würde ich zum Beispiel die Gewerbesteuer zeitlich befristet reduzieren. Das hilft jedem Unternehmer. Daneben ist es möglich, im privaten Eigentum temporär die Grundsteuer auszusetzen. Es gibt durchaus ein paar Optionen, um eine Entlastung zu erzielen. Noch wichtiger als die finanzielle Entlastung ist das Vorgehen mit dem Ermessensspielraum. Friedrichstraße und Strandstraße zum Beispiel, dort könnten die Restaurants und der Einzelhandel die Außenbereiche ein wenig ausdehnen. Klar müssen Rettungs- und Fluchtwege eingehalten werden, dennoch können wir so unterstützen. Ich finde als Gemeinde, als Ordnungsamt darf man da ein bisschen großzügiger sein.

Was wird Ihre erste Amtshandlung als Bürgermeister sein?

Teilweise habe ich diese Frage bereits beantwortet. Bei der Amtsübergabe kann der Ermessensspielraum schnell umgesetzt werden, damit es für die Saison noch Sinn macht. Das ist ein Punkt, den ich sicherlich als erstes angehen würde. Dazu kommt als zweiter Punkt das gesamte Thema Haushalt, Umsatzsteuerproblematik und Doppik. Ich bin seit über 20 Jahren in der Finanzbranche als Finanzexperte tätig. Als Finanzbetriebswirt habe ich das Händchen für Zahlen und genau dieses Know-how brauchen wir jetzt. Auch machen wir immer noch Buchführung nach der alten Kameralistik. Es muss uns jetzt gelingen, auf die doppelte Buchführung umzustellen, ansonsten sind wir noch handlungsunfähiger.

Diese Dinge sollten sofort angeschoben werden. Wir benötigen einen Neustart. Der Tourismus funktioniert eben nur dann, wenn die Finanzen passen.

Was möchten Sie Ihren Wählern kurz vor der Stichwahl am 28. März auf den Weg geben?

Es ist jetzt Zeit für einen Wechsel. Die Zeit der Mauerbauer ist vorbei, die Zeit der Brückenbauer ist gekommen. Ich sehe mich als klassischer Brückenbauer – einmal die Brücken zur Politik, um neues Vertrauen aufzubauen, aber auch die Brücken zum Bürger mit viel mehr Bürgernähe.

Immer, wenn ich mit der Bevölkerung rede, höre ich, der Bürgermeister und die Verwaltung seien schwer zu erreichen. Ich will als Bürgermeister ein guter Dienstleister sein. Mich kann man direkt und persönlich per Handy und E-Mail erreichen, die Türen stehen offen.

Gehen Sie zur Wahl und stimmen Sie für einen Neustart! Ich wünsche mir Ihre Stimme, damit wir eben ein mehr Miteinander bekommen.